Über Lebensfragen und Leuchtreklame

Will ich im Theaterstück meines Lebens noch länger die Rolle spielen, die ich momentan spiele?“. Oder philosophischer gesagt: „Wer bin ich und wer will ich sein?“
Eine Frage, die im Gedankennebel auftaucht – verschwommen, nur schwer lesbar und gleichzeitig doch so grell blinkend, dass ich meinen Blick auf sie richten muss. Flüchtig.
- Ungefähr so, wie das bei den leuchtenden Neonschriftzügen von Bars und Clubs in zwielichtigen Gassen auf dem Nachhauseweg der Fall ist.
Denen werfe ich lieber auch nur im Vorbeigehen einen Blick zu. Flüchtig.
Zu groß die Angst vor dem möglichen Schmerz der lichtempfindlichen Augen. Die haben sich doch gerade noch in der Dämmerung des Discolichts - das selbst die bei Tageslicht dann doch sehr fragwürdig erscheinenden Gestalten in potentielle Frühstückspartner verwandelt - so wohl gefühlt.


Mit genügend Anstrengung schaffe ich es die Frage wieder hinter den weißen Schwaden verschwinden zu lassen. Einfach weniger unangenehme Fragen nach vorne holen – sind doch auch Fragen.
Wann gehe ich das nächste mal zum Sport?“, geht zum Beispiel immer, oder „Was will ich morgen essen?“. „Wann besuche ich endlich mal wieder Oma?“, ist auch sehr beliebt.
Ganz kalenderspruchlike: Aus den Augen, aus dem Sinn.
- Statt die Leuchtreklame anzuschauen also lieber den Blick aufs Handy richten. Das leuchtet auch. Aber nur so hell, wie ich es möchte. Nicht über die Schmerzgrenze hinaus. Die Helligkeit regulieren funktioniert sogar betrunken noch.


Aus dem Sinn“ ist nur leider nicht äquivalent mit „aus dem Herzen“ und mein Herz ist, wie so oft, auch an dieser Stelle schonungslos beratungsresistent und unerbittlich egoistisch:
Du verdammter Schisser, schau dir gefälligst die Leuchtreklame an!“, schreit es.
Danke Herz. Manchmal glaube ich, du bist ein Masochist.
Du weißt, dass es weh tun wird die Frage genauer zu betrachten und wer geht schon freiwillig über seine Schmerzgrenze hinaus?


Und natürlich: Es tut weh. Denn diese Frage verlangt von mir, mich im momentanen Zustand meiner selbst ganz genau anzuschauen
- und ich halte weder meinem Äußeren, noch meinem Inneren, gerne einen Spiegel vor.
Das ist dann nämlich wirklich „volle Breitseite Leuchtreklame in my face“ - weit über die Schmerzgrenze hinaus.
Ich sehe dann die Möglichkeiten so groß und mich so klein, andere so mutig und mich so ängstlich, alle so reich an Erfahrung und mich nur reich an Zweifeln, andere so erfüllt und mich so leer.
Und das tut weh.
Dabei habe ich es satt, dieses zurückhaltende, fast schüchterne Mädchen zu sein um das sich gekümmert werden muss. So Niveau ganz niedlich bis süß. Diese Rolle passt nicht mehr, die Beziehungen die sie führt engen mich ein, das Leben, das sie führt, langweilt mich.

 
Warum ich dann trotzdem lieber aufs Handy schaue, fragst du mich?
Weil alles was folgt noch mehr schmerzt als der Anblick meines inneren Spiegelbildes.
Denn bewusst zu erkennen, dass ich mich in meiner Rolle nicht mehr wohlfühle, bedeutet sie verändern zu müssen, um wieder glücklich zu werden und Veränderungen bedeuten Abschiede - und ich hasse Abschiede.
Denn ich bin der Inbegriff eines Gewohnheitstiers – fühle mich geborgen in von Ritualen geprägtem Vertrauen – bloß nicht über die Schmerzgrenze hinaus.


Deshalb jetzt ein „Danke Herz“ ohne Ironie.
Danke dafür, dass du auch ein Masochist sein kannst. Denn manchmal bin ich nicht stark genug mir Fragen zu stellen von deren Antworten ich weiß, dass sie meine kleine, heile sichere Welt wie ein Erdbeben erschüttern und alles in ihr auf ihre tatsächliche Beständigkeit testen werden.
Vieles ist dann tatsächlich nicht so sicher und stark, wie es scheint.
Manches fällt in sich zusammen, weil es morsch und alt ist und der Stärke meiner neuen Rolle nicht Stand hält.
Dafür wird danach auch wieder Neues aufgebaut: Neue Ziele, neue Träume, neue Beziehungen.
Hört sich leicht an. Ist es nicht. Hilft vielleicht trotzdem beim nächsten Mal.
Denn das wird kommen, ohne vielleicht. Auch diese Rolle bedarf es irgendwann wieder umgeschrieben zu werden.
Und dann heißt es erneut: „Bitte einmal volle Breitseite Leuchtreklame in my face.“

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